Aus Elmshausen ins Vernichtungslager

BA-Bericht vom 18.11.2014

Aus Elmshausen ins Vernichtungslager

Sie waren Menschen wie du und ich. Angesehene, alteingesessene Bürger, die einen kleinen Laden in Elmshausen betrieben und wo immer sie konnten, denjenigen unter die Arme griffen, denen es schlechter als ihnen ging. „Sie waren patriotischer Gesinnung und waren sehr sozial eingestellt“, beschrieb die Gadernheimer Schülerin Jule Melzer die dreiköpfige Familie Israel in einer Kurzbiografie.
Aber, sie waren Juden. Das reichte den Nazi-Schergen als Grund, Theodor und Mina Israel, geborene Oppenheimer, sowie deren gemeinsamen Sohn Walter in Konzentrationslager zu deportieren und zu ermorden. Was die Elmshäuser Familie erleiden und erdulden musste, mag man sich gar nicht vorstellen. Aber man kann es sich sehr wohl denken.

Damit solche Verbrechen nie wieder passieren, damit die Menschen hin- und nicht weggucken, wenn unbescholtene Mitbürger diskriminiert, gekidnappt und umgebracht werden, gibt es nicht nur jährlich wiederkehrende Gedenkfeiern – es gibt auch die Stolpersteine. Und die bleiben, sie sind da, eingemauert in den Asphalt. Auf den Gedenktafeln sind die Namen der Ermordeten, deren Geburtsdatum sowie Ort und Tag ihrer Ermordung eingraviert.

Drei solche Stolpersteine hat der Kölner Künstler Gunter Demnig gestern unter großer Beteiligung der Bevölkerung und im Beisein der Klasse 9 der Mittelpunktschule Gadernheim am Radlettplatz in Elmshausen verlegt – nur wenige Meter entfernt von der Nibelungenstraße 68, dort wo einst das Haus der Familie Israel stand.

Die Stolpersteine, die ein sichtbares Zeichen für die massenhafte Ermordung der Juden während der Zeit des Nationalsozialismus setzen und einzelne Schicksale zurück in den Alltag holen, tragen die Namen von Theodor, Mina und Walter Israel. Die Eltern Israel wurden am 18. März 1942 von der Gestapo verschleppt und im Juli des gleichen Jahres im Konzentrationslager Piaski im heutigen Polen ermordet. Walter, der damals 17 Jahre alte, einzige Sohn des Ehepaars, verstarb am 10. Juli 1942 im Lager Majdanek.
Der Großneffe der Israels, Ryan Lilienthal, sowie mehrere Angehörige waren aus den USA angereist, um beim Einmauern der Messingtafeln dabei zu sein. Klaus Schneider, die Schülerin Jule Melzer und Wolfgang Hechler stellten die von den Nazis ausgelöschte Familie Israel mit bewegenden Worten vor.
Mina Israel, geborene Oppenheimer, wurde 1892 geboren, war bei ihrer Ermordung also 50 Jahre alt. „Sie hat sich in Elmshausen immer sehr wohl gefühlt“, berichtete ein Zeitzeuge über die Geschäftsfrau, die meist hinter dem Tresen ihres kleinen Krämer- und Bekleidungsladens stand und immer ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen ihrer Kundschaft hatte. „Anschreiben war kein Problem.“ Auch privat unterstützte Mina Israel ihre Mitbürger und half in vielen Fällen mit abgelegter Kleidung von Sohn Walter aus.
An Auswanderung wollte die gebürtige Elmshäuserin nicht denken, selbst dann nicht, als die Repressalien gegen jüdische Bürger durch die Gestapo zunahmen, die Kundschaft in ihrem Geschäft immer weniger wurde und schließlich ganz wegblieb. „Hier gehören wir hin. Es wird schon nicht so schlimm kommen“, soll sie die heimatverbundene Frau geäußert haben. Dabei wurde der Laden der Israels schon während der Pogromnacht 1938 von den Nazihorden geplündert und zerstört.

Ehemann und Familienvater Theodor Israel kam am 17. Dezember 1891 in Westpreußen auf die Welt und zog nach seiner Heirat nach Elmshausen. Er war ehrenamtlicher Vorsteher der lokalen jüdischen Gemeinde und reiste mit einem Teil der Ware aus dem Geschäft seiner Ehefrau über Land: „Er wurde wegen seiner Herkunft übel beschimpft und war ständiger, schleichender Diskriminierung ausgesetzt.“
Gestapo und Behörden konfiszierten schon 1938 die Ausweispapiere von Theodor Israel, so dass an eine Ausreise nicht zu denken war.
Walter, der Sohn der Israels, „war ein typischer Elmshäuser Junge, der immer ein gutes Verhältnis zur Gleichaltrigen hatte“. Es soll vorgekommen sein, dass der Filius – was zur damaligen Zeit in Mode war – im Matrosenanzug unterwegs war. Der Versuch seiner Eltern, Walter über Holland und England aus Deutschland herauszuschleusen, scheiterte. Eine Zeit lang besuchte er eine Schule in Frankfurt. Am 18. März 1942 wurde er mit den Eltern deportiert.
Monica Kingreen vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt zeichnete den weiteren Weg der Elmshäuser Familie nach ihrer Verschleppung nach. Gemeinsam mit zirka tausend weiteren Juden wurden die Israels in einem Sammellager in der Darmstädter Liebigschule zusammengetrieben. Am 25. März 1942 wurden Vater, Mutter und Sohn vom Güterbahnhof aus mit einem Sonderzug nach Piaski verschleppt. Walter wurde einige Wochen später „aussortiert“ und ins Vernichtungslager Majdanek gebracht, wo er in Gaskammer umgebracht wurde.

Text: Gerlinde Scharf, BA 18.11.2014 

Fotos: Wolf Nevermann

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