Keine Feierlaune bei der Jugendpflege – BA-Artikel vom 30.1.2019

SOZIALPOLITIK – 30 JAHRE NACH DER GRÜNDUNG HAT EINE WICHTIGE LAUTERTALER EINRICHTUNG IHREN POLITISCHEN RÜCKHALT VERLOREN

30. Januar 2019 Autor: Thorsten Matzner ™

30 Jahre alt wird die Lautertaler Jugendpflege im Herbst. Doch Feierstimmung will nicht so recht aufkommen, denn die Zukunft ist unsicher. Die Finanzkrise der Gemeinde setzt nämlich nicht nur den Bürgern bei deren Steuerbelastungen zu, sondern auch den sozialen Einrichtungen.

Ausgerechnet. Die Sozialpolitik ist über Jahre das Feld, in dem sich am meisten Nachholbedarf aufgebaut hat. Nicht zuletzt daraus speist sich die zunehmende Radikalisierung in der Politik: Wer das Gefühl hat, zu kurz gekommen zu sein, der wird sich vom Sozialstaat nichts erhoffen. Wer sieht, dass sein jahrelanger Einsatz im Berufsleben nichts wert ist, wer in die Sozialhilfe abgeschoben wird, der wird sich nicht für ein politisches System engagieren, das dies zulässt.

Eine freiwillige Leistung?

Es ist korrekt, wenn in den Haushaltsdebatten darauf verwiesen wird, dass die Jugendpflege eine freiwillige Leistung der Gemeinde Lautertal ist. Ob es auch richtig ist, dass die Jugendpflege eine freiwillige Leistung ist, ist damit aber nicht festgestellt. Es handelt sich um eine rein politische Festsetzung.

Träger der Jugendpflege sind die Landkreise. Wer die Internet-Seite des Kreises Bergstraße besucht, wird feststellen: Jugendpflege ist dort kein Thema. Unter der Rubrik „Soziales“ findet sich der Kreisseniorenbeirat – auch wichtig. Es gibt aber keinen Kreisjugendbeirat. Warum eigentlich nicht? Und wo findet man den Kreisjugendpfleger?

Es war auch eine politische Entscheidung, dass Lautertal vor 30 Jahren sich eine Jugendpflege verordnet hat. Aber es war keine Fehlentscheidung. Falsch ist, dass niemand der Jugendpflege energisch beispringt. Zwar bekunden SPD und Grüne, an dem Angebot festhalten zu wollen. Es klingt aber immer mit: solange wir uns das leisten können.

So sagt es auch der Bürgermeister. Er kann nicht anders, denn im Zweifel wird das Land als Kommunalaufsicht ihm die Mittel streichen. Hier wäre der Hebel anzusetzen, und dafür kämen CDU und Grüne als erste infrage, haben sie doch beste Verbindungen nach Wiesbaden. Jugendarbeit ist nicht nur Sozialarbeit, sondern auch Demokratiearbeit. Wenn die Politik die Jugendlichen mit ihren Problemen nicht ernst nimmt, nehmen die Jugendlichen auf Dauer die Politik nicht ernst. Unser politisches und soziales System ist kein Selbstläufer. Weltgeschichte ist kein Märchen: Weltkrieg – Kalter Krieg – Wiedervereinigung: und alle leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Wie die Zeitläufte zeigen, muss Demokratie stattdessen stets neu errungen werden. Wer den Krieg nicht erlebt hat, wird ihn nicht als Maßstab nehmen. Wer das Europa der Schlagbäume nicht kennt, für den sind offene Grenzen kein Gewinn. Deshalb muss sich die Politik um die Jugendlichen kümmern – nicht freiwillig, sondern als Pflichtaufgabe.

Die Lautertaler Jugendpflege hat in 30 Jahren gezeigt, was sie leisten kann. Das mag nicht allen vor Augen stehen: Wenn Probleme schon im Ansatz verhindert werden, wird man sie nicht wahrnehmen. Der eine oder andere mag sich aber noch an den rechtsradikalen Aufmarsch in Reichenbach erinnern, an eine Gegendemonstration auf der Kirchentreppe. Das gibt es hier nicht mehr – andernorts schon.

Die Vereine können es nicht richten

Völlig zurecht verweisen CDU und LBL darauf, dass die Vereine eine gute Jugendarbeit machen. Die war auch schon besser, denn manche Vereine gibt es kaum noch oder gar nicht mehr. Das Argument geht aber am Punkt vorbei.

Die Jugendpflege soll keine Jugendfußballmannschaft und keine Jugendfeuerwehr sein. Vereine machen Jugendarbeit nicht, weil sie deren soziale Bedeutung sehen. Sie wollen überleben, sie brauchen Nachwuchs. Durchaus für ehrenwerte Ziele – siehe die Feuerwehren.

Es mag Jugendbetreuer geben, die ihren Schützlingen Ersatzeltern sind. Das sind Glücksfälle. Die meisten werden überfordert sein, wenn ein Jugendlicher als Opfer von Mobbing oder Vergewaltigung oder mit Selbstmordgedanken vor ihm steht. Denn dafür sind sie nicht ausgebildet. Dafür braucht es Fachleute, nicht in Heppenheim und Darmstadt, sondern am Ort – schnell und unkompliziert erreichbar. Leute wie die Jugendpfleger der vergangenen 30 Jahre, die schon vor den ersten Problemen die jungen Menschen kennen, die ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufgebaut haben.

Das Jugendzentrum ist keine Freizeiteinrichtung, sondern eine Anlaufstelle. Wer dort hingeht, weiß, dass er nicht nur kommen darf – und soll, wenn er Kino schauen oder Billard spielen will. Sein Wert ist nicht aus dem Haushaltsplan abzulesen. Er wird manchem erst bewusst werden, wenn es zu spät ist.

© Bergsträßer Anzeiger, Mittwoch, 30.01.2019

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