Schutzschirm: Knirps mit Löchern oder Chance? Schöne Grüße von Franz Kafka!

Schutzschirm: Knirps mit Löchern oder Chance? Schöne Grüße von Franz Kafka!

„Das Land fordert von uns ein halbes Schwein und gibt uns ein Pfund Gehacktes zurück“, so frech formulierte Norbert Schmitt, MdL SPD, die sogenannte Rettungsmaßnahme des Landes für seine Kommunen. Die Grüne Landtagsfraktion bringt das Ganze mit dem Begriff „Mogelpackung“ auf den Punkt: „Erst werden den Kommunen jährlich über 340 Millionen Euro aus dem kommunalen Finanzausgleich (KFA) entzogen, dann kriegen sie gerade einmal 100 Millionen Euro über den Rettungsschirm zurück. Die zugesagten drei Milliarden Euro gehen über einen Zeitraum von 30 Jahren an die Kommunen“, so formulierte es Ellen Enslin, kommunalpolitische Sprecherin der GRÜNEN im hessischen Landtag. Hessen ist mit NRW mit Abstand das defizitärste Bundesland, das schlägt durch die Entnahme aus dem KFA voll auf die Kommunen durch, die nach unten kaum noch Möglichkeiten haben, einen Ausgleich zu schaffen. Im Lautertal sind es jährlich ca. 180000 Euro, die der Gemeinde im Haushalt durch die Kürzung des KFA fehlen.
Im Gegensatz zu Hessen stehen durchweg die fünf neuen Länder gut da, was auch mit über 20 Jahren Solidaritätsbeitrag zu erklären sein mag. Wer aber einmal einen Betrieb von ähnlicher Finanzstruktur wie die maroden hessischen Gemeinden saniert hat, der weiß, daß es eine Phantasterei ohne Grundberührung ist zu glauben, die kommunalen Haushalte könnten bis zum Jahr 2020 ausgeglichen sein. Gerade die klugen Köpfe der CDU müßten sich dessen bewußt sein, sind sie doch häufig Wirtschaftsprofis. Der Schutzschirm kann vielmehr die Situation noch verschlimmern, denn das Land wird sich zusätzliche Entnahmen aus dem kommunalen Finanzausgleich gönnen. Vielen Gemeinden und Kreisen hilft der Schutzschirm überhaupt nicht: denn es fallen lediglich kommunale Kredite darunter, die zwischen 2014 und 2016 fällig werden. Keine langfristigen Investitionskredite, keine Schulden aus Eigenbetrieben, sondern nur Kassenkredite und kurzfristige Investionskredite werden abgelöst.
Damit wird einer bequemen Unsitte in den Kommunen Vorschub geleistet, denn ein Kassenkredit ist schnell aufgenommen, wenn der Haushaltsansatz nicht reicht. So wäre es nach der ursprünglichen Intention möglich gewesen, daß etwa Weiterstadt unter den Schutzschirm hätte kommen können, da für die Planungen des Loop 5 immense Kassenkredite aufgenommen wurden. Der Nebeneffekt Austrocknung der Geschäftswelt ringsum, die die übrigen Kommunen bislang mit Gewerbesteuereinnahmen stützen konnte, wäre so auf Kosten der Allgemeinheit begünstigt worden. Inzwischen ist Weiterstadt aus der Diskussion um die Schutzschirmwürdigkeit heraus, wohl weil hier nun genügend Gewerbesteuereinnahmen vorhanden sind.
Dagegen sollte der Kreis Bergstraße, dessen Landrat Matthias Wilkes extra für die Unterstützung der Handwerker in der Region die Idee des Eigenbetriebs für sein Landratsamt als „Bergsträßer Modell“ umsetzte (ein Eigenbetrieb muß nicht EU-weit ausschreiben), den Schutzschirm nicht in Anspruch nehmen können, obwohl er möglicherweise wesentlich mehr zur Stärkung wirtschaftlicher Strukturen in der Region beiträgt. Inzwischen sei es jedoch wohl möglich, daß auch Kredite von Eigenbetrieben unter den Schutzschirm gestellt werden können, so Matthias Schimpf, hauptamtlicher Kreisbeigeordneter der Grünen.
Nur 20 % aller hessischen Kommunen sind schutzschirmfähig, aber alle tragen diese Rettungsaktion mit. Kommunen die solide und konservativ gewirtschaftet haben, zahlen so die Kassenkredite der anderen. Insgesamt beträgt die Schuldenlast der Kommunen in Hessen 18 Mrd. Euro, wovon jetzt 3,2 Mrd. vom Land übernommen werden.
Ein zweiter großer Nachteil des Schutzschirms wird darin gesehen, daß die Selbstverwaltung der Kommunen mit Inkrafttreten des Schutzschirmes endet. Denn wo es keine freiwilligen Leistungen mehr zu verwalten gibt, bleibt nichts mehr zu tun. Die Demokratie würde damit ausgehebelt. Warum nicht gleich wieder KuK-Monarchie und Hofschranzen-Willkür wie so treffend und
beklemmend bei Franz Kafka (deutschsprachiger Schriftsteller aus Österreich-Ungarn, 1883-1924) beschrieben?
Die Konsolidierung der Gemeindehaushalte soll so funktionieren: es darf nicht mehr an Neukrediten aufgenommen werden, wie zugleich getilgt wird. Nur wer viel tilgt, kann also auch viel investieren. Durch die daraus resultierende Entziehung an Wirtschaftskraft in vielen Gemeinden kann eine Schieflage entstehen, deren Folgen in der Konsolidierungsregelung noch gar nicht berücksichtigt wurden: eine „selbstsichernde“ Stellschraube.
Nach Ansicht von Bürgermeister Kaltwasser kann man der Lösung nur durch eine kommunale Finanzreform näherkommen. So dürfe es nicht sein, daß das Land keine Konnexitätsverpflichtung („Wer bestellt, der bezahlt“) eingeht, beispielsweise bei notwendigen und vorgeschriebenen Investitionen wie dem BOS-Funk für die Feuerwehren, mit der Begründung, Funk habe es bei den Feuerwehren vorher bereits gegeben, und es handele sich daher nicht um eine Investition, sondern um eine Umstellung. Ähnlich verhält es sich bei der kostspieligen Umstellung auf die doppische Buchführung. Die Kosten für diese Pflichtmaßnahmen werden voll auf die Kommunen abgewälzt, zugleich liegen die Einnahmen der Gemeinden, z.B. was Gewerbesteuern betrifft, heute auf dem gleichen Stand wie 2007.
Dritte Schwierigkeit: der Leitfaden, den das Land Hessen seinen Kommunen an die Hand gegeben hat und der zwischenzeitlich wohl bereits in Teilen revidiert wurde, sah vor, daß eine Schutzschirmgemeinde im ersten Jahr pro Einwohner 100 Euro konsolidieren müsse. Das wären im Falle Lautertals ca. 700.000 Euro. Diese Summe wäre nur mit gravierenden Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen erreichbar. Selbst wenn sämtliche freiwilligen Leistungen der Gemeinde gestrichen würden, könnten dadurch nur ca. 200000 Euro eingespart werden. Dies würde allerdings z.B. auch die komplette Streichung der Jugendpflege bedeuten, was im Lautertal keine der im Parlament vertretenen Parteien anstrebt. Jeder Bürger, der bislang die goldenen Leistungen der Gemeinde als selbstverständlich für sich nutzte, wird dadurch betroffen sein. Da stellt sich die Frage: sind uns diese einschneidenden Maßnahmen wirklich das Geschenk von 5 Mio. Euro wert, die uns das Land dafür an Schulden erlassen will?
Der umstrittene Leitfaden, in dem ernsthaft vorgeschlagen wurde, etwa die Neujahrsempfänge mehrerer Gemeinden gemeinsam durchzuführen (was zu einer jährlichen Einsparung von etwa 200 Euro pro Gemeinde führen könnte!), sei zwischenzeitlich revidiert worden, die 100 Euro pro Einwohner seien ein Orientierungwert, der von individuellen Vereinbarungen abhänge, so Matthias Schimpf. Das nennt man klare Fakten und Anweisungen, wie man sie von einem wirklich guten Leitfaden erwartet. Nun müssen die Kommunen also, mit all diesen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten alleingelassen, bis Ende Juni 2012 einen Antrag mit konkreten Konsolidierungsmaßnahmen stellen, ohne zu wissen, wie sich dieser Antrag auf ihre Entwicklung auswirken wird und wie sie ihre individuellen Vereinbarungen gestalten sollen. Denn ist ist durchaus nicht sicher, daß eine Kommune, die sich gegen den Schutzschirm entscheidet, nicht doch am Ende genau zu den für den Antrag in Ansatz gebrachten Konsolidierungsmaßnahmen verpflichtet wird. Das hieße dann: Jugendpflege ade, 5 Mio ebenfalls ade. Der Gesetzestext des Schutzschirms ist bekannt, die Ausführungsverordnung jedoch noch nicht. Ein bißchen erinnert die ganze Geschichte halt immerzu an Kafkaeske Welten.
So unterliegen etwa die Schutzschirmkommunen nicht mehr der Finanzaufsicht des Kreises, sondern direkt dem Land. Die anderen Gemeinden bleiben bei ihrem Kreis. So werden in der Finanzaufsicht doppelte Strukturen geschaffen, die Transparenz und Wirkungskraft beeinträchtigen. Immerhin entfällt für Schutzschirmgemeinden die bislang bereits geforderte und durchgeführte Erstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes.
„Wie man es macht, macht man es falsch“ – so die hilflose Meinung vieler. Die einzige Möglichkeit
wäre, wenn sich nicht eine einzige Kommune für den Schutzschirm anmeldet. Das aber wird nicht geschehen, denn jeder Bürgermeister glaubt, daß er für seine Gemeinde mit geschicktem Verhandeln etwas herausholen kann.
Hier wurde viel zu lange gute Miene zum bösen Spiel gemacht, denn die Kommunen konnten die stetig steigenden Pflichtausgaben ja mit bequemen Kassenkrediten abfangen, die gab es in Hülle und Fülle, und noch dazu sehr günstig. Inzwischen steht man mit dem Rücken an der Wand. Das bedeutet, daß sich jede Kommune auch intern mit ihrer Haushaltsführung auseinandersetzen muß. Vielleicht ist der Schutzschirm der Ansporn dazu, dies endlich zu tun. Bei künftigen Haushaltssitzungen wird es mit Sicherheit nicht nur strikte Auflagen geben, es wird auch stärker mit spitzem Bleistift gerechnet werden. Da die Schließung von Theater, Schwimmbad und Bibliothek für Lautertal nicht in Frage kommt zwecks Einsparungen, wird man hier möglicherweise heilige Kühe schlachten müssen. Eine gemeindeeigene Halle, die jährlich einen sechsstelligen Betrag an Kosten verschlingt, darf dann nicht mehr vierstellige Einnahmen verzeichnen. Eine zweite Möglichkeit neben den Einsparungen wären aber vor allem auch interkommunal gemeinschaftliche Einrichtungen. Für interkommunale Zusammenarbeit gibt es Fördergelder, sie entlastet die Einzelhaushalte und bringt Vorteile durch Synergieeffekte.
Glosse:
Einer der wichtigsten Arbeitsplätze in den Rathäusern sollte vielleicht der des Fördermittelaquisiteurs sein, über interkommunale Zusammenarbeit für mehrere Gemeinden gleichzeitig tätig und aus Fördermitteln finanziert. Denn gerade hier gibt es niemanden, der sich zuständig fühlt und sich um pünktliche Bearbeitung förderfähiger Projekte kümmert. Unzählige Fördermittel von Land, Bund und EU stehen uns rechtmäßig zu, aber man legt sie uns natürlich nicht freiwillig vor die Tür. So könnten wir uns zustehende Gelder hereinholen, und dies auch noch von außen mitfinanziert! Sage noch einer, wir könnten nicht auch unsere Kafkaesken Welten erfinden!
Zurück zum Ernst: der einzige Vorzug des Schutzschirmes scheint es wohl zu sein, daß die Kommunen sich in Haushaltsdisziplin zu üben beginnen. Es gibt noch einen zweiten Vorzug: der Schutzschirm könnte der Tropfen sein, der das Faß zum Überlaufen bringt und zur Durchsetzung einer besseren Finanzausstattung der Kommunen führt.Marieta Hiller

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